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Der Dom Sankt Blasius

Allgemeiner Überblick

Die unter Herzog Heinrich dem Löwen errichtete Stiftskirche St. Blasii am Braunschweiger Burgplatz, der "Dom", war für die Nationalsozialisten ihres Stifters wegen von großem Interesse. Initiator der Grabungen im Dom 1935 und seiner anschließenden Umgestaltung war der Braunschweigische Ministerpräsident Dietrich Klagges, ein fanatischer und ehrgeiziger Nationalsozialist. Er betrieb die Glorifizierung Heinrichs als Vorbild für die Gegenwart, als "früher Vorläufer einer wahren deutschen Nationalpolitik" (Klagges zit. nach Dyke / Fuhrmeister, S. 49). Hitlers Interesse an Heinrich und dem Braunschweiger Dom war hingegen eher oberflächlich. Die nationalsozialistische Beurteilung Heinrich des Löwen wandelte sich zudem von der anfänglichen Verehrung des Protagonisten der "Ostkolonisation" zur Ablehnung seiner Haltung als der eines reichsfeindlichen Partikularisten. Zunächst jedoch wurde auf Anordnung Hitlers und auf Betreiben der Braunschweiger Nationalsozialisten der Dom durch bauliche Veränderungen und neue Gestaltungen zu einer "nationalen Weihestätte" umgewandelt. Im Juni und Juli 1935 wurden in der Gruft Grabungen durchgeführt, wobei die Suche nach den Gebeinen Heinrichs und seiner Frau Mathilde im Vordergrund stand. Als Hitler am 17. Juli 1935 Braunschweig besuchte, besichtigte er auch die Ausgrabungen.

Zunächst existierte nur der Plan zur Schaffung einer eigenen Gruft für die sterblichen Überreste des Herzogpaares, schließlich wurde aber eine immer umfassendere "strategische Ideologisierung" (Dyke / Fuhrmeister, S. 49) des Domes in Angriff genommen. Da das Gebäude Eigentum des Landes Braunschweig, nicht der Landeskirche war, bedurfte es keiner förmlichen Enteignung; aber von kirchlicher Seite regte sich auch kein nennenswerter Widerstand.

Seit 1936 wurde der Dom in einem Prozess zunehmender Inbesitznahme und Umwandlung umgestaltet, profaniert und fortan als "Herzogshalle", "Nationalheiligtum", "Weihestätte der Nation" u. Ä. bezeichnet. Die Reichskanzlei übernahm die Kosten der Umgestaltung, und eine Inschrift auf dem Portal verkündete: "Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler ließ die Gruft Heinrichs des Löwen erbauen und den Dom erneuern in den Jahren 1936-38". Im November 1940 weihte Alfred Rosenberg, der als Vordenker des völkischen Flügels der NSDAP Heinrich den Löwen schon in den frühen dreißiger Jahren als Vorläufer einer nationalen Ostpolitik gefeiert hatte, den Braunschweiger Dom als nationalsozialistische Kultstätte ein. Seither fanden dort zahlreiche nationalsozialistische Veranstaltungen statt, etwa Gedenkstunden für Gefallene, Kundgebungen an nationalsozialistischen Feiertagen und Konzerte. Zahlenmäßig am wichtigsten waren aber die Führungen angemeldeter Gruppen: Zwischen 1939 und 1944 wurden mindestens 10 000 Personen durch den Dom geführt, z.B. BDM- und HJ-Führerlehrgänge, Angehörige der Waffen-SS, des Reichsarbeitsdienstes, aber auch Diplomaten, ausländische Schriftsteller und Offiziere. Über die ihm anfänglich, im Kontext der Grabungen 1935, zugewiesene Bedeutung als Weihe- und Wallfahrtsstätte hinaus wurde der Braunschweiger Dom somit zu einem repräsentativen, der ideologischen Unterweisung dienstbaren "Staatsdom".

Nach 1945 wurden die auffälligsten Spuren der nationalsozialistischen Zeit beseitigt, und der Dom konnte wieder als Kirche genutzt werden. Die Bestuhlung und andere Details der Innenausstattung stammen aber noch aus der Zeit des Nationalsozialismus, und der seinerzeit hergestellte Eindruck von Offenheit und Schlichtheit ist nicht mehr verändert worden. Auch das Erscheinungsbild der Gruft Heinrichs - mit ihrem düsteren Granit im Gegen-satz zum lichten Elmkalkstein des restlichen Domes - ist seit den dreißiger Jahren weitgehend gleich geblieben. Immerhin hat dies zur Folge, dass die Erinnerung an die Geschichte der Instrumentalisierung des Domes in der Zeit des Nationalsozialismus baulich bewahrt bleibt.

Quellen / Literatur:
Arndt, Karl: Mißbrauchte Geschichte. Der Braunschweiger Dom als politisches Denkmal 1935/45, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit, Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125-1235, Katalog der Ausstellung, Bd. 3: Abteilung Nachleben, hrsg. v. Jochen Luckhardt u. Franz Niehoff zus. mit Gerd Biegel, München 1995, S. 88-95.
Arndt, Karl: Mißbrauchte Geschichte. Der Braunschweiger Dom als politisches Denkmal (1935/ 1945) [Zwei Teile], in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte Bde. 20/21 (1981/82), S. 213-244, 189-223.
Dyke, James A. van / Christian Fuhrmeister: Zeitlose Kunstwerke und moderne(s) Gestalten im Braunschweiger Dom, in: Deutsche Kunst 1933-1945 in Braunschweig - Kunst im Nationalsozialismus, Hildesheim/Zürich/New York 2000, S.48-65.
Grumbkow, Jochen von: Die Umgestaltung des Grabmals Heinrichs des Löwen im Dom zu Braunschweig 1935 bis 1940, in: Braunschweigisches Jahrbuch, Bd. 79 (1998), S. 167-216.
Lösch, Niels C.: Die "Erbgesundheit" Heinrichs des Löwen. Eine Retrospektive zu den Interpretationen der Gra-bungsbefunde von 1935 in der Gruft des Welfenherzogs, in: Braunschweigisches Jahrbuch, Bd. 78 (1997), S. 227-248.