Q: Archiv des Arbeitskreises Stadtgeschichte e.V., Wehrstr.27, 38226 Salzgitter

Weitere Orte zum Thema Lager und Zwangsarbeit in Braunschweig

 

Sicht eines Anwohners

Gerhard S., geb. 9.10.1929 in Braunschweig, wohnhaft seit 1943 in einem Siedlungshäuschen an der Schefflerstr. Nr.7 (...)
Da wir da draußen allein wohnten, konnte ich nach Herzenslust spielen. 1936-37 wurde die SS-Reitschule vom Braunschweigischen Staat geplant, im Zusammenhang mit dem Ausbau des Schlosses zur SS-Führerschule. Mein Vater mußte 1938 unser Grundstück verkaufen, erwarb aber ein neues Baugrundstück an der Holzmindener Str. worauf ein neues Haus geplant war. Wir konnten in dem Haus wohnen bleiben bis zur Fertigstellung. Wir waren in den Komplex der SS einbezogen. Hatten aber einen eigenen Zugang von der Schefflerstr. und einen Hinterausgang, um über das Grundstück der SS zum Limbecker Hof zum Einkaufen zu gehen.(...) Ich war Pimpf und Hitlerjunge, mehr aus Pflicht als aus Neigung.(...)

Die Pferdeställe
1944 war ich in der Tischlerlehre und in meiner Freizeit zu Hause Die Pferdeställe waren leer, teilweise wurde ein Stallteil zur Unterbringung von ausgebombten Leuten und deren restl. Habe kurzzeitig genutzt.
Ein Stallteil wurde zu Beginn des Winters mit Häftlingen belegt. Ich konnte kurz einen Blick einwerfen. Ich war bekannt bei den Wachleuten, weil ich innerhalb des Grundstückes freien Zugang hatte.
Ich habe nie über die Hintergründe nachgedacht, habe nur gesehen was war. Der Stall war aus Beton mit Metallpfeilern zum Abteilen der Boxen. Die Futterkrippen aus Ton waren einbetoniert und dienten den Häftlingen zum Aufbewahren ihrer Habseligkeiten. Die Matratze bestand aus Stroh, es waren teilweise verschmutze Decken und Kleidungsstücke vorhanden. Die Ablaufrinne für die Jauche wurde Nachts wahrscheinlich zum Urinieren benutzt. Die Ställe waren nachts durch schwere Türen abgeschlossen. Der Stall war nicht geheizt, war aber winddicht und durch die Atemluft muß es sehr feucht gewesen sein. Das feuchte Stroh wurde dann in Schiebekarren rausgefahren und auf dem Hof ausgekippt(...)
Zur Bewachung waren SS-Weiber mit Hosenröcken als Uniform, Langschäfter und Reitpeitsche in der Hand.(...)

Erinnerungen
Unser Haus war inzwischen an die Versorgungsleitung der SS mit eigenem Zähler angeschlossen. Eines Tages hatten wir einen Schmutzwasser-Rückstau in unsere Waschküche. Die Stall-Entwässerung war vestopft. Nachdem die Leitung wieder frei war, wurde unsere Waschküche von 3-4 Frauen mit Eimern leergeschöpft, da der Ablauf höher lag. Ich kam darauf zu und war neugierig. Es waren jüngere Frauen, die einen großen Lebenswillen ausstrahlten, obwohl sie verlumpt und mit Schmutz behaftet waren. Eine Frau [hat] in dem Schmutzwasser eine Nadel mit eingefädeltem Faden gefunden und, da zufällig keine Bewachung da war, freudig eingesteckt.(...)
Die Reithalle war im Rohbau fertig und hatte noch keine verglasten Fenster. Ich wollte wissen, was in der Reithalle geschah und fuhr in einem unbewachten Augenblick mit dem Fahrrad ran, stellte mich auf das Rad und sah neben den beiden Latrinengruben 2 Leichen liegen, die sich Kopfüber in die Latrine gestürzt haben, eine Verzweiflungstat, nach meiner Erinnerung waren es eine Frau und ein Mann. Ich bin sehr nachdenklich schnell weggelaufen. Konnte aber mit meinem Vater nicht darüber sprechen.

Nach dem Krieg
Nach dem Kriege wurde die Existenz des Lagers totgeschwiegen. Ich wurde, nachdem das Lager aufgelöst wurde, eingezogen zum Arbeitsdienst und (...) von den Amerikanern interniert und kam erst im Juni wieder. Von dem Lager war nichts mehr zu sehen, alles gesäubert und ordentlich.(...)

Quelle:
Archiv des Arbeitskreises Stadtgeschichte e.V., Wehrstr.27, 38226 Salzgitter
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