Die Sinti und Roma in Braunschweig-Veltenhof | ||
Interview mit Elvira R. | Die "Zigeunerklasse" der Schule Veltenhof |
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"Der liebe Gott wollte mich nicht verbrennen lassen" | ||
Eine anonymisierte Aufnahme
einer Braunschweiger Sintessa.
Frau Elvira R.s Familie wohnt in Berlin, hier wird sie 1929 als jüngstes Kind geboren. Nach einigen Jahren zieht die Familie nach Aachen, wo sie eine Wohnung hat. Nach nur anderthalb Jahren muß Elvira R. die Schule dort wieder verlassen. Und dann haben wir da noch eine Zeit gewohnt,
dann kam die Zeit, wo die ersten Lebensmittelkarten kamen. Da wurden mein
Bruder und meine Schwägerin in Kassel verhaftet, und meine Schwester war
im Pflichtjahr beim Bauern, als Haushälterin. Da ist meine Schwester nach
Kassel gefahren und hat die fünf Kinder [des Bruders] geholt, der Kleinste
war neun Monate alt. Dann hat meine Mutter ein Schreiben gekriegt, da
stand drin, "In 24 Stunden die Stadt verlassen". ... Dann sind wir in
Braunschweig angekommen..., mit den fünf Kindern von meinem Bruder. Ich
war damals ungefähr acht. ... Da hatten wir nichts, keinen Wohnwagen,
nichts, nur mit dem Kinderwagen und sechs Kindern kamen wir da an. Da
haben uns die Verwandten geholfen. Hinterher kam meine Schwester, die
mußte von ihrer Stelle weg, sie durfte nicht mehr arbeiten, weil sie eine
Sintizza war. ... Meine Schwester ist dann arbeiten gegangen beim Kohlehändler,
mein Vater hat in einer Eisenfabrik gearbeitet. ... Ich bin zur Schule
gegangen, [aber ein] paar Tage später mußten wir alle die Schule verlassen.
Nicht bloß ich, die ganzen Braunschweiger [Sinti]. Dann sind wir bei den
Bauern arbeiten gegangen. Das war ja früher schon so, die ganzen Braunschweiger
Sinti haben gearbeitet bei den Bauern, Mohrrüben gehackt, Mohrrüben verziehen,
Kartoffeln roden hinter der Maschine, oder Erbsen, Bohnen oder Gurken
gepflückt. Manche haben im Hafen gearbeitet. In die Schule durften wir
ja nicht, da sind wir arbeiten gegangen ... Dann war ich ungefähr zwölf,
da ... hat meine Mutter einen Brief gekriegt, da mußte ich eine Zwangsarbeit
machen, in einer Wäscherei. Und einen Tag, das war am Sonnabend ... haben
sie [die Polizisten] gesagt, "Keiner geht zur Arbeit!". ... Da haben sie
uns eingekreiseit. ... Sie gingen Wagen für Wagen [und fragten], ob wir
Gold haben, Geld haben. Der Kriminal[-beamte] Wenzel, der stand vor unserem
Wagen, er hat mit meiner Mutter gesprochen. Meine Mutter hat eine rote
Sparbüchse gehabt, die war aber gemacht wie ein Buch, und da hat sie ihm
das Geld gegeben. Und er hat es genommen und einfach in seine Tasche reingetan
und hat es nicht notiert. Da hab ich zu meiner Mutter gesagt, in unserer
Sprache aber, "Mama, der Mann tut einfach das Geld in seine Tasche rein".
Da hat sie gesagt, ich soll ruhig bleiben. Weil die Alten, die haben das
schon geahnt, die haben das im Gefühl gehabt. Als wir in die Züge reingegangen
sind, da haben die Älteren auch gesagt, "Wir Alten, wir kommen nicht mehr
hier nach Hause." ... Die [Kriminalpolizisten] haben ja zu uns gesagt,
wir kommen irgendwohin, nach Polen, da kriegt jeder sein kleines Häuschen,
ein Stück Land und Viehzeug, und das müßten wir dann alleine bearbeiten. |
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Q: Hein, C.M.; Krokowski, H.:"Es war unmenschenmöglich".Sinti aus Niedersachsen erzählen - Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus und Diskriminierung bis heute. Hrsg. vom Niedersächsischen Verband Deutscher Sinti e.V., Hannover 1995 |
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