KZ-Außenlager
SS-Reitschule
Eva B. : "Wir haben nicht gelebt"
"Wir sind nach Braunschweig gekommen in
einen Stall früher für Pferde, das konnte man merken. Von
den Ringen an den Wänden. Am Boden war eine dünne Schicht Stroh.
(...) Man hat uns erklärt, dass wir Trümmer
wegräumen werden. Auf der Baustelle wo wir arbeiteten, dass
war in der Innenstadt, ganz zerstörte Straßen. Und wir wurden von Zivilisten bewacht. Im Lager und als wir durch die Stadt gingen, wurden
wir von SS-Leuten begleitet (...) Alles was uns fehlte, was uns gestört hat, das war die Begegnung mit der normalen Lebensweise der anderen. Der Bewohner von Braunschweig (...) Jeden Tag sind wir zweimal durchgegangen
in der Mitte der Straße. Eine Kolonne in 5er- Reihen. Magere, kranke,
schmutzige Frauen in Lumpen. Am Trottoir haben die anständig angezogenen, normalen Bürger [gestanden]. Die gelebt haben, wie man lebt. Wir haben nicht gelebt. Das war kein Leben.
Als sie uns bemerkt haben, was sie da gedacht haben, das ist eine Frage, die mich schon 53 Jahre quält. Was haben sie gedacht."
Sicht eines Anwohners
In dem folgenden Bericht geht Eva B. genauer
auf die Umstände des Lageralltags, die Situation im zerstörten
Braunschweig und ihre Erinnerungen an zwischenmenschliche Erlebnisse ein:
Zwei Monate habe ich als Häftling in Braunschweig verbracht. Das
war im Winter 1944/45, vom 18. Dezember 1944 bis 21. Februar 1945. (...)
Im April 1944 wurde ich nach Auschwitz verschleppt und dort habe ich
6 Monate verbracht.(...) Unter den Lagern, in welchen ich nach Auschwitz
war, hat Braunschweig mich außerordentlich beeindruckt. In Braunschweig
war ich vom Leben, einem normalen Leben (verhältnismäßig
normalen!) nicht völlig isoliert. Da haben wir die Gelegenheit gehabt,
zu sehen, daß es noch Straßen gibt, freie Bürger, Frauen
die einkaufen gehen, Kinder die die Schule besuchen, daß es schöne
Häuse gibt, Läden, Auslagen, Restaurants, Villen mit Gärten.
Das waren Szenen aus einem früheren Leben, als auch wir noch unsere
Heime, Eltern, saubere Kleider, Bücher gahabt haben. Warm angezogen,
satt und zufrieden...(...) Unsere Unterkunft war ein zweiteiliger Stall. (...) Unsere Arbeit
war Trümmerbeseitigung. Jeden Morgen sind wir sehr zeitig aufgestanden.
Unsere "Betten" - Betonboden mit einer dünnen Schicht Stroh,
voll von Läusen und Schmutz. Wochenlang kein Wasser zum Waschen! (...)
Nach dem Frühstück, schwarze Flüssigkeit - die Kaffee genannt
wurde - gingen wir in Fünferreihen in der Mitte der Straße zur
Baustelle. Das war ein Teil der Stadt, völlig von den Bomben ruiniert,
in Trümmern.
Aber unser Weg führte durch die lebende Stadt.(...) Nie werde ich
den Anblick eines Fensters vergessen, wo eine junge, blonde Frau mit einem Kind auf dem Arm vor
dem schneeweißen Vorhang stand und uns mit erschrockenem Gesichtsausdruck
anschaute.
Wir arbeiteten den ganzen Tag in größter Kälte. Unsere Posten
waren keine SS-Leute, es waren Veteranen in Uniform. Sie waren menschlich
zu uns.(...) Aber diese menschlichen Posten konnten uns nicht vor Hunger,
Kälte, Läusen, Krankheiten, Schmutz und natürlich vor der SS beschützen.
Abends war es schrecklich. Am Eingang in den Stall haben wir das Essen
- nur einmal täglich - bekommen. Eine abscheuliche Suppe, nicht einmal
warm, und daneben zu wenig.
Und dann kam der Kampf mit den Läusen. Wir zogen uns aus und haben
bei der schwachen Beleuchtung die Läuse vernichtet. Das dauerte lange,
aber umsonst. Wir legten uns hin und nach kurzer Zeit fühlten wir
wieder die Qual. Kratzen und kratzen die halbe Nacht...
Einmal, als Fliegeralarm war, hat man uns von der Arbeitsstelle in eine
Kirche gejagt. Unter uns war eine junge Frau aus Budapest. Dort, in der
Kirche, hat sie Gounod`s Ave Maria gesungen. Die Akustik und ihre Stimme
- es war so wunderbar. Die schon lange vergessenen, feinen, zarten Gefühle
erwachten wieder. Immer wieder werde ich mich an dieses Ereignis erinnern
(...)
Ich war sehr krank, mein Glück war, daß ich eine sehr gute
Freundin hatte, Vera, die mir in jeder Hinsicht geholfen hat.(...) Viele
starben neben uns. Die Ärztin, welche uns im Februar zugeteilt war,
sagte mir:" Du bist sehr krank, aber ich kann Dir nicht helfen. Ohne
Medikamente, in diesen fürchterlichen Umständen.
(...)
Ich war Häftling in Braunschweig bis zum 21. Februar, als man die
kranken Häftlinge in das Krankenrevier im KZ Watenstedt brachte.
Noch heute verstehe ich nicht, warum? Aus welchen Gründen hat man
uns so barmherzig (!) behandelt? Und wessen Befehl war das? Es wäre
logisch gewesen, uns nach gewohnter Praxis totzuschlagen, zu ermorden...
Quelle: Archiv des Arbeitskreises
Stadtgeschichte e.V., Wehrstraße 27, 38226 Salzgitter
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