Karlstraße 25

 

Chronik der nationalsozialistischen Verfolgung der Zeugen Jehovas im Deutschen Reich und in Braunschweig (1933 bis 1945)


28. Februar 1933
In der Folge der Verordnung des Reichspräsidenten "Zum Schutze von Volk und Staat" kommt es zu ersten Verboten der Tätigkeit der Zeugen Jehovas "zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung".
Als besonders staatsfeindlicher Akt wird von den Nationalsozialisten die Kriegsdienstverweigerung der Zeugen Jehovas angesehen. Weiterhin lehnen die Zeugen Jehovas den Hitler-Gruß, den Fahneneid, die Teilnahme an den Reichstagswahlen sowie die Beteiligung an staatlichen Organisationen wie Hitlerjugend oder Deutsche Arbeitsfront ab.

März 1933
Verhandlungsversuche der Zeugen Jehovas mit den Nationalsozialisten über die Fortführung ihrer religiösen Tätigkeit scheitern, so dass in der Folgezeit die ersten Länder die Bibelforschervereinigung verbieten.

7. April 1933
Durch das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" verlieren viele Zeugen Jehovas ihren Arbeitsplatz.

24. April 1933
Besetzung und Durchsuchung der Zentrale der Zeugen Jehovas in Magdeburg. Auf amerikanische Intervention wird die Zentrale zunächst wieder frei gegeben. Eine zweite Besetzung erfolgt dann im Juni 1933.

19. Mai 1933
Gem. § 1 und 2 der "Sechsten Verordnung zur Durchführung der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat" des Braunschweigischen Ministers des Innern wird festgelegt:
"Die Gruppe Braunschweig der Wach-Turm-Bibel- und Traktatgesellschaft ... und Internationalen Bibelforschervereinigung wird aufgelöst."
"Die Wiedererrichtung von Organisationen der ... bezeichneten Vereinigung wird für das Land Braunschweig verboten." Dennoch werden Zusammenkünfte in kleinen Privatwohnungen abgehalten.

25. Juni 1933
Großveranstaltung auf Einladung der Magdeburger Zentrale der Zeugen Jehovas in Berlin, an der ca. 7.000 Personen teilnehmen. Verabschiedung einer "Erklärung", die die gegen die Organisation vorgetragenen Vorwürfe entkräften soll. Dieser Versuch einer Einigung mit den neuen Machthabern scheitert.

7. bis 9. September 1934
Auf einem internationalen Kongress wird die Intensivierung der Missions- und Propagandatätigkeit der Zeugen Jehovas in Deutschland sowie die Errichtung einer illegalen Organisation beschlossen.

7. Oktober 1934
Protestbriefe und Telegramme der Zeugen Jehovas aus Deutschland und der ganzen Welt an Adolf Hitler: "Hören Sie auf, Jehovas Zeugen weiterhin zu verfolgen, sonst wird Gott Sie und Ihre nationale Partei vernichten."

29. Dezember 1934
Wegen "Aufrechterhaltung und Fortsetzung einer verbotenen Organisation - Vergehen gegen die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 in Verbindung mit der 6. Verordnung des Braunschweigischen Ministers des Innern vom 19. Mai 1933" werden Walter Ott, seine Frau Anna Ott, Auguste Imlau, Hermine Meletzki, Frau Kiwatschenski, Selma Senf durch das Amtsgericht Braunschweig zu 1 bzw. 2 Monaten Gefängnis verurteilt.

1935
Es werden sogenannte "Verpflichtungserklärungen" eingesetzt, um Zeugen Jehovas zum Verzicht auf ihren Glauben zu bewegen. Seit 1937 wird die Freilassung nach Verbüßung einer Haftstrafe von dieser Erklärung abhängig gemacht.
Zeugen Jehovas aus Braunschweig werden in Gefängnisse oder Konzentrationslager eingeliefert. Etwa 8 bis 10 Personen versammeln sich weiterhin heimlich in Privatwohnungen.

1. April 1935
"Reichsverbot" der Organisation der Zeugen Jehovas. Gleichzeitig wird die offizielle Auflösung der Wachturm- und Traktat-Gesellschaft in Magdeburg beschlossen und die Landesregierungen werden per Runderlass vom 13. Juli 1935 mit der Beschlagnahme des Vermögens der Vereinigung beauftragt.

Frühjahr 1936
Um die Anhänger der "Bibelforscherlehre" zur Aufgabe ihrer Überzeugungen zu bewegen, wird damit begonnen, per Gerichtsbeschluss Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder zu entziehen.

Juni 1936
Die Gestapo bildet ein Sonderkommando, um Jehovas Zeugen systematisch auszuschalten. Der Wachturm meldet, dass 2 894 Zeugen Jehovas inhaftiert worden sind.

4. bis 7. September 1936
Kongress der Zeugen Jehovas in Luzern mit abschließender Verabschiedung einer Resolution, in welcher die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Deutschen Reich angeprangert wird. In einer reichsweiten Aktion im Dezember 1936 wird die Protestresolution in einer Auflage von ca. 100.000 Exemplaren in verschiedenen Städten verteilt (diese Aktion wird im Februar und März 1937 wiederholt).

1937
Im Verlauf des Jahres werden die Zeugen Jehovas in den KZ in die für "Rückfällige" erlassenen Bestimmungen einbezogen, zu schwersten Arbeiten herangezogen und schikaniert. Im Konzentrationslager Dachau (später auch in Sachsenhausen) werden Zeugen Jehovas in speziellen Baracken hinter Stacheldraht "isoliert".

22. April 1937
Erlass der Gestapo Berlin: "Sämtliche Anhänger der IBV, die nach Beendigung der Strafhaft aus den Gefängnissen entlassen werden, sind unverzüglich in Schutzhaft zu nehmen; ihre Überführung in ein Konzentrationslager ist unter Darlegung des Sachverhaltes zu beantragen." In der Folgezeit kommt es zur Einweisung hunderter Zeugen Jehovas in die KZ.

20. Juni 1937
Ein in Bern verfasster "Offener Brief", der auf die Verfolgungssituation der Zeugen Jehovas in Deutschland Bezug nimmt, wird in einer reichsweiten Aktion verteilt.

Herbst 1937
Zweite große Verhaftungswelle von Zeugen Jehovas. Die reichsweite Aktivität der Zeugen Jehovas kommt daraufhin zum Stillstand.

1938
Es werden einheitliche Farbcodes für die KZ-Häftlinge eingeführt. Die Zeugen Jehovas erhalten den "lila Winkel".

9. Februar 1938
Auguste Imlau wird durch das Sondergericht Braunschweig wegen "Aufrechterhaltung bzw. Wiedererrichtung der verbotenen Organsation der internationalen Bibelforscher-Vereinigung" zu acht Monaten Gefängnis verurteilt.

März 1938
Totale Postsperre für die Zeugen Jehovas in den KZ. Die Beschränkung im Briefverkehr wird durch einen Stempel auf den Briefbögen deutlich gemacht: "Der Schutzhäftling ist nach wie vor hartnäckiger Bibelforscher und weigert sich, von der Irrlehre der Bibelforscher abzulassen. Aus diesem Grunde ist ihm lediglich die Erleichterung, den sonst üblichen Briefverkehr zu pflegen, genommen worden."

18. Februar 1939
Auguste Imlau wird wiederum durch ein Sondergericht zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

11. Januar 1940
Schutzhaftbefehl der Gestapo Berlin gegen Auguste Imlau mit der Begründung, "daß Sie durch ihr Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates" gefährde. In der Folge verbringt Auguste Imlau insgesamt fünf Jahre und acht Monate im Konzentrationslager Ravensbrück.

7. Februar 1940
Seit Kriegsbeginn ergehen militärgerichtliche Todesurteile gegen Zeugen Jehovas, da diese den Wehrdienst verweigern.

ab 1942
Verbesserung der Überlebensbedingungen in den KZ für die Zeugen Jehovas.

6. März 1944
Dr. Robert Ritter kündigt in einem Schreiben an den Präsidenten des Reichsforschungsrats an, Untersuchungen über die "Sippenherkunft" der Zeuginnen Jehovas im Frauen-KZ Ravensbrück zu beginnen, um über den Erbwert der Angehörigen von Bibelforscherfamilien ein Bild zu gewinnen.

1933 bis 1945
Von den ca. 25.000 Anhängern dieser Glaubensgemeinschaft zu Beginn des "Dritten Reiches" werden ungefähr 10.000 für eine unterschiedlich lange Dauer inhaftiert. 2.000 kommen ins KZ. 1.200 sterben oder werden ermordet, darunter ca. 250 Zeugen Jehovas, die vornehmlich wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtet werden.

 


Quellen:
Hans Hesse
(Hg.): "Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas". Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Bremen 1998.
Informationsdienst der Zeugen Jehovas.