Meldung der Gestapo Braunschweig über das Umfeld der
ehemaligen SPD (1936)
Aus den monatlichen Meldungen der Braunschweigischen
Politischen Polizei/Staatspolizeistelle Braunschweig an das Geheime Staatspolizeiamt,
hier: Meldungen und Beurteilungen der Politischen Polizei über das
personelle Umfeld der ehemaligen SPD (März 1936):
3. S.P.D.
Der seit Monaten nur ganz
schwach in Erscheinung getretene hier bekannte S.P.D. Kreis ist
besonders überwacht.
Es kann als feststehend unterstellt werden, daß eine organisierte
S.P.D.-Front auch kleinsten Ausmaßes nicht besteht. Demgegenüber
ist jedoch eine lose Verbindung dieser Leute bemerkt worden, der
größte Beachtung zu schenken ist. Die durch die Machtübernahme
aus ihren Funktionärs- und Gewerkschaftsposten verschwundenen
S.P.Disten, die zahlenmäßig noch stark vermehrt worden
sind durch Entlassungen von Beamten, Angestellten und Arbeiter[n]
gleicher Parteirichtung, bilden insgesamt eine zahlenmäßig
starke Gruppe. Sie sind gezwungen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen
und haben sich daher zum größten Teile dem Handelsgewerbebetrieb
zugewandt. Sie vertreiben im ambulanten Handel und Hausiergewerbe
Genußmittel, Nahrungsmittel und Gegenstände des täglichen
Bedarfs nach außen hin an jedermann. In Wirklichkeit sieht
die Sache jedoch anders aus. Diese Leute, die von einer Zentrale
aus beliefert werden, besuchen unauffällig ausschließlich
ihre früheren Parteifreunde und sogar in gewisser Regelmäßigkeit
beisp. frühere Angehörige des aufgelösten „Allgemeinen
Fabrikarbeiterverbandes“. Sie sind alle gegenseitig bekannte
frühere Kampfgenossen und erreichen auf diese Art, daß
sie nach und nach einen festen Kundenkreis haben, der sich politisch
mit ihnen einverstanden erklärt und für alle Fälle
ihnen zur Verfügung steht.
Es sind hier z.Zt. Erhebungen im Gange, die bereits einen solchen
Verteilerkreis erfaßt haben. Die Hauptverteilerstelle ruht
in diesem Falle in den Händen eines auswärtigen früheren
sozialdemokratischen höheren Beamten, der hier in Braunschweig
ausschließlich einige alte SPD-Funktionäre und Gewerkschaftsbonzen
eingesetzt hat. Diese Leute vertreiben im ambulanten Handel Speise
und gehen Tag für Tag ihre festen Kunden ab, die allwöchentlich
besucht und bedient werden. Hiergegen wäre nichts einzuwenden,
wenn nicht die Geschäftstüchtigkeit der Verkäufer
weit über ihr eigentliches Gewerbe hinausgeht und in Form
der Mundpropaganda alte SP.Disten erst vorsichtig geprüft
und dann später als noch verschwiegen und zuverlässig
festgestellt werden. Dann ist es soweit, daß die Käufer
wöchentlich neben ihrer Speise auch politische Gerüchte
und Zersetzungsnachrichten mit erhalten und vielleicht sogar die
moralische Stärkung erfahren, ruhig auszuharren und die Entwicklung
der Dinge abwarten.
Diese eben geschilderte Tätigkeit bestimmter alter Marxisten
ist nun z.Zt. nicht mehr eine Einzelerscheinung, sondern sie wächst
sich gewissermaßen zu einem System heraus, daß [sic!]
heute unter allen Umständen beachtet und zweckentsprechend
beseitigt werden muß.
|
Quelle: Bundesarchiv Koblenz, R 58/222,
Bl. 72 ff.
Zit. nach Gerhard Wysocki: Die Geheime Staatspolizei
im Land Braunschweig. Polizeirecht und Polizeipraxis im Nationalsozialismus,
Frankfurt / New York 1997, S. 98.
|