Der große Bombenangriff im Oktober 1944 -
erlebt von einer »Ostarbeiterin«


Der größte und schlimmste Angriff war im Oktober 1944. Damals war so oft Alarm, daß ich mich gar nicht erinnern kann, was ich gerade gemacht habe, als die Sirene ging. Vielleicht habe ich geschlafen. Manchmal sind wir gar nicht aufgestanden, wenn Alarm war. So auch in dieser Nacht. Wir hatten die Nase voll, hin und her zu laufen; wir waren einfach übermüdet.

Zum Glück gab es Männer, die Luftschutzdienst hatten. Deutsche und auch Kriegsgefangene (Franzosen und Belgier). Die kamen in unsere Baracke und haben uns rausgejagt. Im Keller hatten wir große Angst, daß wir bestraft würden. Dann ging auch noch das Licht aus, die ersten Bomben fielen schon. Es waren auch Familien mit Kindern da. Die Kinder schrien fürchterlich; es war ein unvorstellbares Chaos. Über dem Keller war eine große Halle, in der verschiedene Sachen standen. Konserven und leere Dosen, z. T. in Paketen verpackt. Wir konnten hören, daß die Sachen umherflogen und es brannte! Die Fabrik war getroffen! Da war natürlich noch mehr Panik. Und immer diese schrecklichen Geräusche von draußen, wenn die Bomben fielen: Pfeifen, Explosionen und einstürzende Mauern. Es gab zwei Türen im Keller. Eine war zugeschüttet, durch die andere wurden wir rausgeschickt - in den Bombenhagel.

Die Männer sagten uns, wir sollten keine Panik machen, langsam raufgehen und zur Schule Maschstraße laufen. Dahin sollten wir gehen, aber ich weiß nicht warum. Auf dem Hof fielen um uns herum die Brandbomben. Ein Mädchen und ich hatten zum Glück eine Decke, die wir uns über die Köpfe legten. Auf dem Weg zur Schule haben wir auch noch andere Mädchen getroffen. Obwohl es Nacht war, war es hell wie am Tage. Überall war es von oben beleuchtet, und die Brandbomben fielen. ich hatte Riesen-Glück, daß ich nicht getroffen wurde. Irgendwie war ich gleichgültig, irgendwie habe ich auch keine Angst gehabt.



Einige Menschen kamen uns von der Schule entgegen und riefen: »Da braucht ihr gar nicht erst hin!« Dort waren auch Bomben gefallen, und alle sind aus den Kellern raus und weggelaufen.

Wir brauchten frische Luft, es war zum Ersticken. Dann sind wir in Richtung Celler Straße gelaufen, kamen aber nicht durch, die Bäume fielen auf die Straße und brannten. Auch die Oberleitungen der Straßenbahnen hingen hinunter. Wir wollten nur in Richtung Feld.

Da die Straßen sehr schmal waren, und es an beiden Seiten brannte, war natürlich alles zugeschüttet. Zusammen mit einem Mädchen, ich weiß nicht wo die anderen geblieben sind, kam ich zur Hamburger Straße, dorthin, wo der Friedhof war. Wir fanden eine Bank, auf die wir uns einfach erst einmal gesetzt haben - wir waren erschöpft und ratlos und holten Luft.

In der Zwischenzeit hatte sich der Angriff etwas »beruhigt«. Wir saßen da wie versteinert und sahen, wie Verletzte in Handwagen weggefahren wurden.

Es wurde schon Morgen, und wir versuchten zu unseren Baracken zurückzukommen, aber das schafften wir nicht. Alles war kaputt, es gab kein Durchkommen, wir wußten nicht, in welche Richtung wir gehen sollten. Und dazu dieser erstickende Qualm und der furchtbare Durst. [. . .]

Quelle:
Friedrich, Heinz und Frieder Schöbel. Braunschweig im Bombenkrieg. Band 1. Braunschweig: Friedenszentrum BS e.V., 1993. S. 78.