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Auszug aus "Ich war Hitlerjunge Salomon"
von Sally Perel
(...) Wenig später traf ich in Braunschweig
ein und begab mich in das Büro des Bahnhofsvorstehers, so wie man
mir befohlen hatte. (...) Nach einer etwa halbstündigen Fahrt waren
wir am Ziel. Der Wagen hielt vor einem großen, modernen Gebäude.
Auf der Fassade wehten die Nazi - Fahnen. Ich werde den Schreck, der mir
in die Glieder fuhr, niemals vergessen.
Das Gebäude schien ausgezeichnet instandgehalten. Ein riesiger Innenhof
diente als Versammlungsfläche, hinter einer Stele und der Bronzestatue
eines tapferen Soldaten stand ein Fahnenmast. Den Hof säumten zweistöckige
Wohngebäude. Zwischen ihnen lagen ein olympiagerechtes Schwimmbad,
Aschenbahnen, verschiedene Sportstätten für Athletik und Mannschaftsspiele.
Ein hoher neogotischer Bau auf dessen Giebel >> Kraft durch Freude
<< zu lesen war, begrenzte den Hof. In diesem Bau befand sich der
Speisesaal. Mehrere blonde Burschen überquerten den Platz, alle in
schwarzen Hosen und braunen Hemden mit Naziabzeichen.
Es war mir klar, daß ich in die Höhle des Löwen eindrang.
Wenn sie - Gott bewahre! - entdeckt hätten, daß ich Jude war,
würden sie mich gewiß wie Raubtiere in Stücke gerissen
haben. Diese schreckliche Angst nistete sich bei mir ein und ihre Folgen
spüre ich noch heute.
Man wies mich in das Büro des Bannführers Mordhorst, der mir
in seiner ganzen Herrlichkeit umringt von einem Hofstaat von Untergebenen,
gegenüberstand. Er begrüßte mich mit einem schneidigen
>> Heil Hitler <<. Es blieb mir nichts weiter übrig,
als mich zusammenzunehmen, mein Arm schräg nach oben zu reißen
und >> Sieg Heil << zu antworten .
Wir setzten uns, um uns durch ein Gespräch miteinander bekannt zu
machen. Vor mir, hinter dem Bannführer, befand sich eine Hitlerbüste,
deren Augen und Bärtchen besonders plastisch gestaltet waren. Fotografien
vom Aufmarsch der Jugend beim Reichsparteitag in Nürnberg zierten
die Wände. Man stellte mir Fragen über den Verlauf der Schlachten
und über die >>ruhmvollen Siege<<, bei denen ich dabei
gewesen war. Ich staune noch immer über mein erzählerisches
Talent, mit dem ich meine Bravourstücke zum Besten gab, ohne Stottern
und Zögern. Meine Zuhörer waren beeindruckt und fasziniert.
Nach meiner minutenlangen Schilderung, während der ich die Aufmerksamkeit
aller auf mich gezogen hatte, ergriff der Bannführer das Wort und
beschrieb mir die Einrichtung, in der ich soeben eingetroffen war. Meine
schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich: Ich war einer HJ
- Schule gelandet, einer nationalsozialistischen Berufsschule, die in
ihrer Art einzig war im ganzen Reich. Diese >> Ritterburg der NS
- Arbeit << verfolgte drei Hauptziele: Den Führungsnachwuchs
für die verschiedenen Parteiorganisationen heranzuziehen, eine politische
und technische Ausbildung zu gewährleisten und im Rahmen des Banns
468 effektive Arbeit zu leisten.
Der Führer, erklärte man mir, lege keinen Wert auf einen unnützen
musischen Unterricht. Er wolle die jungen Deutschen auf die praktischen
Anforderungen des Regimes vorbereiten und sie abhärten.
Ich konnte seinen Ausführungen nicht ganz folgen, ich bekam Bauchkrämpfe,
und wieder näßten ein paar Tropfen meine Hose.
Er fuhr fort und legte dar, daß die Schüler in mehreren Heimen
zusammengefaßt seien, die jeweils einzelnen Bereiche zugeordnet
waren, wie Streifendienst, Marine, Flieger, Nachrichtenwesen, Motor -
HJ. Höchst bedauerlicherweise könne ich nicht in die SS - Abteilung
aufgenommen werden, da ich nicht blond sei und meine 160 Zentimeter nicht
der vorgeschriebenen Größe entsprächen. Der Schlußsatz
des Bannführers beim Abschied verblüffte mich: Er meinte, daß
wenn ich in so jugendlichem Alter bereits so tapfer an der Front gekämpft
hätte, er völlig sicher sei, daß ich auch zu einem Führer
und Volk ergebenen Mitglied der Hitlerjugend werden würde.
(...)
>>Oh Allmächtiger, was soll werden? Welche Art Überleben
hältst du für mich bereit? Soll ich lachen oder weinen? Nein
Weinen gewiß nicht, nur Mut brauche ich, Mut! Jedenfalls muß
ich das Schloimele in mir vergessen und anfangen, ein Hitlerjunge, ein
echter Josef zu werden.<<
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