Trude Oppelt (1894 - 1987):


Braunschweig, 29. September 1943

Liebe Ursel und lieber Hermann!

Nun haben wir unsere Feuertaufe auch hinter uns. Es sollen nur 8 Flieger hiergewesen sein, die von Hannover über den Harz nach Braunschweig abgedrängt worden sind. Sie haben aber genug Schaden angerichtet. Direkt in der Verlängerung unserer Straße, Bültenweg, geht es an. Ein großer Trichter mitten in der Straße, das Wasserrohr zerstört. Deshalb hatten wir einen ganzen Tag kein Wasser. Oma und ich machten einen Rundgang durch das zerstörte Gebiet. Ein großes Quadrat Häuser war ganz flach, keine Mauer stand, nur ein paar Schornsteine, ein Trümmerhaufen nur. In den Straßen manche Häuser ganz zerstört, und ganze Straßenzüge mit geplatzten Scheiben und zerschmetterten Fensterflügeln. Es sind in anderen Stadtgebieten auch noch viele Häuser zerstört. Überall wurden die Möbel, verstaubt und verdreckt, herausgetragen. Die Menschen räumten schon überall auf. Auf den Trümmern ihres kleinen Hauses saß eine Frau und lachte. In der Nimo hatte ein Mann Wache. Als er morgens nach Hause kam, fand er seine Schwiegereltern tot, auch seine Frau und seine beiden Kinder. Eine Frau flog aus einem explodierenden Haus in das gegenüberliegende durchs Küchenfenster. Ich war so froh, als ich nach Hause kam und unser Häuschen noch so heil und sauber ohne Scherbengarnierung vorfand. Zwar, ein Häufchen Schutt lag auch auf dem Hof. Da ist bei unseren Mädeln die schwache Decke abgeplatzt. Bei den Hühnern sind zwei Mistbeetfenster ausgehoben. Das ist alles. Bei unserem Bäcker sind einige Dachziegeln gelockert, und die Schaufensterscheibe ist geplatzt. Beim Schlachter steht der Schornstein schief. Sonst ist hier nichts weiter passiert. Wir hatten nun schon so oft Alarm, und wir waren alle sehr müde. Als die Sirene ertönte, dachte ich, das ist ja Menschenquälerei, ich bleibe liegen. Da kam bald Oma, dann Munni im Nachthemd, dann Onkel, der hatte noch unten gelesen. Ich sah einmal zum Fenster hinaus, sah wieder matte Scheinwerfer hinter dem gegenüberliegenden Haus und sagte: »Sie sind wieder in Hannover« . Munni legte sich wieder ins Bett, ich auch. Plötzlich wurde es sehr hell, ich sah auf, sah drei Leuchtbomben am Himmel, ich raste zu Munni, »feindliche Flieger«, dann ins Badezimmer, mich anzuziehen. Es knallte schon furchtbar. Schuhe, Strümpfe, Schlüpfer, Rock an, darüber den Kittel, zwischendurch sah ich zum Fenster hinaus, zwei Weihnachtsbäume am Himmel. Das übrige Zeug raffte ich zusammen und runter. Onkel rief: »Wo sind meine Stiefel, wo ist mein Rock!!!« Unten schnappte ich meine Gasmasken .... und Verbandkästen, da liefen Onkel und Munni im Dunkeln gegen mich an, und, Krach, lag alles unten. Ich wieder alles hoch, dann ging es hinüber. Oma und Munni waren schon vor mir. In der Haustür stehend brüllte ich zu den Mädchen rauf: »Seid ihr alle unten?« Indem wurde es taghell, ein Krach, ich flog ...

(Liebe Ursel, hier mußte ich meinen Brief gestern abend unterbrechen, weil wir Alarm hatten. Im Luftschutzkeller saß schon Viktoria mit ihrem Gebetbuch. Es war Gott sei Dank nichts, und wir konnten bald schlafen gehen).

 

 

Also weiter in meinem Bericht: Ich flog durch den Luftdruck an die Wand und machte nun schnell, daß ich runter kam. Ich staunte erstmal über Munni, sie stand da in Schlüpfern und zog sich erstmal richtig an. Mitgenommen hatte sie einen Koffer, ziemlich schwer, mit Briefmarkensammlung, und ihren Schmuckkasten, ihre Bettdecke und zwei Decken. Angezogen hatte sie sich beim Lichte der Leuchtbomben. Dann kamen die Mädels runter. Die hatten keinen Alarm gehört. Maria in Pantoffeln, 2 hatten verschieden Schuhe an. Permia (?) nur einen, und diese hatte überhaupt nur das Kleid an und fror vor Kälte und Angst. Munni gab ihr großzügig eine von ihren Decken. Nun war das ein Getöse draußen, die Bomben fielen, es knatterte und krachte. Wir, Munni und ich, gingen öfter mal nach oben, um zu sehen, ob unser Haus noch steht. Onkel lief draußen herum, ab und zu sahen wir ihn. Wir verschwanden immer bald wieder. Denn wir konnten die Laute des Krieges nicht deuten und wußten nicht, wie wir uns zu verhalten haben. Aber endlich wagten wir uns auf die Straße, und es brannte in hellen Schwaden in der Richtung Braunschweig und in der Richtung mit Blick aus Munnis Zimmer. Das war die Bautischlerei Schnur, die uns schon so manches gebaut haben. Viele alte Bauernhäuser sind zerstört. Die feindlichen Flieger flogen in gerader Richtung über die nördlichen Außenbezirke der Stadt. Über der Schuntersiedlung warfen sie nur einige Brandbomben ab, die sofort gelöscht wurden. Wir waren der letzte Wohnbezirk und ihre Vorräte alle. 15 Bomben allein lagen im Prinz- Albrecht-Park. Das war der Anfang: Arbeiterhäuser sind wieder einmal zerstört. Außer einer Klavierfabrik kein größeres Gebäude. 2 Schwestern, kleine Mädchen aus dem Kindergarten, die gerade bei ihrer Großmutter waren, wurden mit dieser zusammen getötet. Heute stand eine Todesanzeige in der Zeitung mit 6 Personen. Die Eltern, 3 Kinder und die Großmutter. Das war ein unbeabsichtigter Angriff. Was mag übrig bleiben von Braunschweig bei einem Großangriff.

Oma will also Sonntag hier abfahren. Schließlich ist es überall dasselbe, und wir müssen nur darauf vertrauen, einmal »übrigzubleiben«.

Oma fahrt mittags ab, wie ihr, und ist abends in Berlin.

Ich bin todmüde und immer beim Einschlafen. Die Hauptsache weißt du ja auch nun, und ich sende Euch einen SOS-Gruß (schlafe ohne Sirenen) und, weißt Du, schicke doch diesen Brief wieder zurück. Es ist später vielleicht ganz interessant. Dir und Hermann die herzlichsten Grüße. Tante Trude.

 

Quelle:
Friedrich, Heinz und Frieder Schöbel. Braunschweig im Bombenkrieg. Band 1. Braunschweig: Friedenszentrum BS e.V., 1993. S. 68-69.